Manch tragischer Vorfall, wie uns ein Bericht aus dem Berliner Tageblatt vom 18.6.1910 zeigt.
Hier der Text in heute allgemein lesbarer Schrift:
Die Blitzkatastrophe in der Jungfernheide Die Blitzkatastrophe, die gestern Abend an der Mauer des Johannisfriedhofes in Moabit sechs Menschen in einem einzigen Augenblick dahingerafft und vielen anderen Verletzungen beigebracht hat, dürfte zu den schwersten Unfällen gehören die in den letzten Jahren in Berlin durch Gewitter hervorgerufen wurden. Kurz nach der Katastrophe spielten sich an der Unfallstelle entsetzliche Schreckensszenen ab, die von einem Augenzeugen wie folgt geschildert werden:
„Ich befand mich im Alten Schützenhaus In Moabit, wo ich vor dem drohenden Gewitter, das nachmittags gegen 7 Uhr heraufgezogen war, Schutz suchte. Dort hatten sich auch noch zahlreiche andere Spaziergänger eingefunden, die den Nachmittag über auf der Jungfernheide verbracht hatten. Kurz nach meiner Ankunft prasselte der Regen in dichten Strömen hernieder, und bald durchzuckten grell aufleuchtende Blitze die Luft. Grollende Donnerschläge folgten. Plötzlich, es mag kurz nach sieben Uhr gewesen sein fuhr ein entsetzlicher Blitzschlag nieder.
Der Tanzsaal war sekundenlang unheimlich erleuchtet, und das ganze Haus schien in seinen Fugen zu erbeben. Erst nach einigen Minuten, die wir fast starr vor Schrecken und Entsetzen stumm am Platze gestanden hatten, wurden wir uns klar darüber, dass der Blitz in das Haus eingeschlagen hatte. Wir hatten gesehen, daß der Kronleuchter, der mitten im Saal hängt, hell erleuchtet war, und daß der Blitz im nächsten Augenblick auf unerklärliche Weise den Weg ins Freie genommen hatte. Gleichzeitig ertönten von einer benachbarten Fabrik die schrillen Warnungspfiffe einer Dampfsirene, und wir stürzten, Böses ahnende, auf die Straße: Etwa 1oo Meter von uns entfernt zieht sich die Mauer des Johannisfriedhofes dahin Hinter ihr ragen gewaltige Kiefern empor.
Dort bot sich uns ein fürchterlicher Anblick, der an ein blutiges Schlachtfeld erinnerte. Etwa fünfzig Menschen lagen in einem wüsten Durcheinander scheinbar leblos auf der Erde, Männer Frauen, Kinder, junge Mädchen in weißen Sonntagskleidern und mehrere Soldaten. Tiefe Stille herrschte, und wir glaubten erst, daß alle die Menschen vom Blitz getötet seien. Dann wurden Hilferufe laut und allmählich kam etwas Leben in diesen Menschenknäuel. Dort richtete sich ein Mann auf und taumelte schwankend hin und her, hier betastete sich eine Frau die Stirn, aus der ihr alles Gefühl gewichen schien. Einige stürzten wie sinnlos in wilder Flucht davon, andere krümmten sich in gewundenen Stellungen und schrien vor Schmerzen laut auf.
Inzwischen prasselte der Regen unerbittlich nieder und die hereinbrechende Dunkelheit erhöhte die Verzweiflung. Mütter suchten schreiend nach ihren Kindern, Männer nach ihren Frauen. Eine Arbeiterfrau warf sich jammernd über ihren Mann, der leblos am Boden lag. Bald kamen Krankenträger vom Verband für Erste Hilfe und trugen ihn als Toten davon Der Sanitätsfeldwebel Strodzki bemühte sich um die Verletzten, bis die ersten Ärzte aus dem Virchowkrankenhaus zur Stelle waren. Dann begann die Rettungsarbeit. An sechs Verunglückten versagte die Kunst der Ärzte, der Blitzschlag hatte sie getötet. Sie wurden in Transportwagen ins Virchowkrankenhaus geschafft.
Den Verletzten leisteten die Ärzte, Krankenwärter und Passanten Hilfe, soweit es vorläufig in ihren Kräften stand. Auch sie waren nach einer kurzen halben stunde im Krankenhaus geborgen. Manche erholten sich unter den Händen der Ärzte sehr rasch und konnten den Heimweg antreten Wagen auf Wagen fuhr inzwischen herbei, um die Verletzten fortzuschaffen. Viele von diesen waren gelähmt, andere hatten Brandwunden erlitten und wieder andere klagten über stechende Schmerzen in den Gliedern. Bald standen nur noch Neugierige an der Unfallstelle. Der Regen hate aufgehört und man sammelte die Stöcke, Schirme, Taschentücher und sonstigen Utensilien die die Verletzten zurückgelassen. Die großen Kiefern, unter denen die Unglücklichen Schutz suchten, zeigen Brandspuren und der Zaun, an dem der Blitz entlangfuhr, ist völlig zerstört.
Die Liste der Toten
Der Verwaltung des Virchowkrankenhauses ist es heute Morgen gelungen, die Namen der sechs Personen festzustellen, die bei der gestrigen Blitzkatastrophe in der Jungfernheide getötet wurden. Die Personalien sind folgende:
1. Schneider Alexander Liedtke, 26 Jahre, unverheiratet, Turmstraße 54
2. Wäscher Karl Dreßler, verheiratet, Familienvater, Kottbuser Ufer 85
3. Richtmeister Michael Hübner, 48 Jahre, verheiratet, Vater von zwei Kindern, Elberfelder Straße 9
4. Kontoristin Ella Kruschat, 16 jahre, Tochter des Fabrikarbeiters Kruschat in der Turmstraße 54
5. Arbeiter Friedrich Gehrmann, Straße 60 c Nr. 5
6. Gardefüsilier Scherr von der 1. Kompagnie
Von den zwölf Verletzten, die im Virchowkrankenhaus Aufnahme gefunden haben, befindet sich nur noch die 27-jährige Arbeiterin Alwine Schulz aus der Waldstraße 44 in Lebensgefahr. Sie hat neben mehreren Brandwunden auch schwere innere Verletzungen davongetragen. Heute klagte sie über heftige Kopfschmerzen und hatte unter Bluterbrechen zu leiden. Die übrigen Verletzten dürften bald wieder hergestellt sein. Einige wurden auf ihren Wunsch heute bereits wieder aus dem Krankenhause entlassen- -Die Ärzte, die Oberin, Krankenschwestern und Wärter des Virchowkrankenhauses bemühten sich mit großem Eifer um die Verletzten.
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